Was uns dänisches Eis über die Inflation lehrt

Inflation an der Eistheke // Bildnachweis ©: Sebastian Wieschowski

Seit vielen Jahren machen wir Urlaub in Dänemark. Das Land nördlich unserer Heimat in Schleswig-Holstein ist nicht nur ein willkommener Rückzugsort, um ein paar Wochen der täglichen Flut schlechter Nachrichten zu entkommen – der staatliche Radiosender „P8“ spielt rund um die Uhr chilligen Jazz und zwischendurch nur kurze News-Meldungen, für die unser Dänisch nicht ausreicht.

Das liebenswerte Königreich war ganz nebenbei auch ein guter Ort, um sich frühzeitig auf das vorzubereiten, was wir seit ein paar Jahren in Deutschland erleben: Hohe Preise. Eine Kugel Eis für drei Euro? In Dänemark völlig normal. Eine ordentliche Flasche Bier im Supermarkt? Nicht unter 2 bis 3 Euro zu bekommen. Ein Besuch im dänischen Möbelhaus? Ein Traum, solange man nicht auf das Preisschild schaut.

Inflation an der Eisbude

Während unseres letzten Dänemark-Urlaubes im August 2024 machte ich eine interessante Entdeckung: Auf der Rückseite der Eisbude, bei der wir uns regelmäßig mit Kalorien versorgten, hingen alte Plakate von „Frisko“, in Deutschland als “Langnese” und in Österreich als „Eskimo“ bekannt, vom Anfang und dem Ende der neunziger Jahre. Und der gemütliche Familienurlaub wurde augenblicklich zu einer volkswirtschaftlichen Lehrstunde:

Die Eis-Legende „Magnum Classic“, im Jahr 2024 mit 30 dänischen Kronen (4 Euro) auf der Preisliste beworben, kostetet im Jahr 1999 genau 13 Kronen und 1992 nur 12 Kronen.
Die Standard-Ausführung des Waffel-Eises „Cornetto“ liegt aktuell bei 25 Kronen, 1999 kostete es 11 Kronen und 1992 lag der Preis bei 10 Kronen.
Die lokale Spezialität „Københavner Stang“ ist im Jahr 2024 für 22 Kronen zu haben, 1999 wurde sie für 9 Kronen angeboten und 1992 für 7 Kronen.

Die zufällige Entdeckung am Eis-Laden ließ mich mit mehreren Erkenntnissen und Fragen zurück. Erstens: Der Preis der drei Eis-Sorten hat sich in den vergangenen 25 Jahren mehr als verdoppelt. Und zweitens: Im Verlauf der Neunziger Jahre war der Preisauftrieb offenbar weitaus geringer als heutzutage. Und drittens: Wenn sich der Preis für Eis in einem Vierteljahrhundert „nur“ etwas mehr als verdoppelt, sind die Sorgen um eine vermeintliche Teuerung dann überhaupt berechtigt – und ist die Inflation überhaupt ein Problem der Gegenwert?

Zuerst zu den nackten Zahlen: Zwischen 1992 und 1999 stiegen die drei Eis-Preise lediglich um etwa zwei Prozent pro Jahr. Zwischen 1999 und 2024 ist ein Zuwachs um circa 3,5 Prozent pro Jahr zu beobachten – also eine fast doppelt so hohe durchschnittliche Jahresinflation, aber noch weit von den Rekordständen der vergangenen Jahre entfernt. Denn es handelt sich dabei um langfristige Betrachtungen eines Durchschnitts – die tatsächlichen Inflationsraten im Zeitverlauf können durchaus stark abweichen. Oder mit anderen Worten: Aus der langfristigen Inflation lassen sich keine Rückschlüsse auf die Gegenwart ableiten.

Tatsächlich verdeutlichen die dänischen Eis-Preise nicht nur die ökonomische Entwicklung in Mitteleuropa der letzten 25 Jahre ziemlich eindrucksvoll – sie helfen auch dabei, die Rekord-Inflation ziemlich genau zu lokalisieren:

  1. Phase ab Ende der 1990er bis Anfang der 2000er: Die Inflation in Dänemark und dem Rest von Mitteleuropa war relativ moderat. Die späten 1990er Jahre und frühen 2000er Jahre waren durch eine stabile wirtschaftliche Entwicklung und niedrige Inflationsraten geprägt, die meist um die 2 bis 3 Prozent pro Jahr lagen.
  2. Phase ab Mitte der 2000er Jahre bis zur Finanzkrise 2008: In den Jahren vor der Finanzkrise stieg die Inflation leicht an, teilweise aufgrund global steigender Rohstoffpreise. Es gab Jahre, in denen die Inflation auf etwa 3 bis 4 Prozent stieg.
  3. Phase nach der Finanzkrise 2008: Die Finanzkrise führte zu einem Rückgang der Inflation, teilweise sogar zu Deflation in einigen Monaten. In den Jahren nach der Krise blieb die Inflation niedrig, häufig um 1 bis 2 Prozent oder sogar darunter.
  4. Phase in den 2010er Jahren: Im Großteil der 2010er Jahre blieb die Inflation in Dänemark und dem Rest von Mitteleuropa niedrig. Die Jahre waren durch eine sehr moderate Preisentwicklung geprägt, oft zwischen 0,5% und 1,5 Prozent jährlich.
  5. Phase in den 2020er Jahren: Ab 2021 ist ein signifikanter Anstieg der Inflation zu beobachten. Als Gründe werden vor allem die COVID-19-Pandemie, Lieferkettenprobleme und geopolitische Spannungen genannt. Insbesondere im Jahr 2022 wurde in Dänemark eine spürbare Inflation von über 5 Prozent beobachtet, was über dem langjährigen Durchschnitt lag. In anderen Ländern wie Deutschland und Österreich lagen die Spitzenwerte sogar noch etwas höher.

Mein persönliches Fazit: Es fällt leicht, über die Entwicklung der Eis-Preise seit dem Jahr 1999 zu schimpfen. Dass mein Lieblingseis nach einem Vierteljahrhundert rund 2,3 mal so teuer ist, ist auf den ersten Blick unglaublich.

Doch der eigentliche Skandal ist die Teuerung seit dem Jahr 2020 – und die bittere Erkenntnis, dass die hohen Preise bleiben werden, auch wenn die Inflationsrate inzwischen wieder sinkt. Das „Magnum Classic“ wird nie wieder 13 Kronen kosten, sondern statt 30 dänischen Kronen in diesem Jahr vielleicht 31 Kronen im nächsten Sommerurlaub.

Das ist ein schwacher Trost – ebenso wie die Erkenntnis, dass ein „Magnum“ an der Eisbude in Deutschland laut der offiziellen Langnese-Preistafel aktuell 2,70 Euro (im Vergleich zu 4 Euro in Dänemark) kostet.

Zudem ist bei den Preisvergleichen in diesem Artikel nicht berücksichtigt, dass die Packungsgröße des „Magnum“ von 200 Millilitern seit der Markteinführung im Jahr 1989 auf zuletzt 110 Milliliter und inzwischen nur noch 100 Milliliter verkleinert wurde. Aber wenigstens sorgt das Eis zumindest kurzfristig für einen kühlen Kopf.

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