Sie haben es tatsächlich getan: Die EU hat eine Bargeldobergrenze beschlossen. Ab dem Jahr 2027 sollen europaweit Bargeldzahlungen über 10.000 Euro verboten werden – den einzelnen Ländern bleibt vorbehalten, eine noch niedrigere Grenze einzuführen. Und offenbar sind viele Euro-Länder fleißig dabei, mit eigenen Ideen den Einsatz von Bargeld zu beschneiden.
Wie dies gehen kann, zeigt gerade ein kleines und unauffälliges Euro-Land: Estland gehört zu den baltischen Staaten. Das Land an der Ostsee hat im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion seine Unabhängigkeit zurückerlangt – und seine eigene Währung, die „Kroon“. Die Esten liebten ihr eigenes Geld und mochten es nur schweren Herzens im Jahr 2011 wieder abgeben. Inzwischen haben sie sich an den Euro gewöhnt, doch schon bald heißt es wohl wieder „Abschied nehmen“.
In einem Nebensatz werden die Kleinmünzen beerdigt
In einem Nebensatz erwähnt die estnische Zentralbank („Eesti Pank“) in einem Bericht über den Bargeldumlauf vom Mai 2024: „Das Parlament ist dabei, ein Gesetz zu verabschieden, das Rundungsregeln für Ein- und Zwei-Cent-Münzen festlegt, um die Verwendung dieser Münzen zu verringern.“ Die Zentralbank erklärt: „Die Rundungsregeln würden bedeuten, dass der Endpreis eines Warenkorbs an der Kasse auf die nächsten fünf Cent aufgerundet wird, allerdings nur, wenn der Käufer bar bezahlt.“
Die Pläne des estnischen Parlaments („Riigikogu“) sollen zum 1. Januar 2025 in Kraft treten. Eigentlich ist die Entscheidung der kleinen Balten-Republik nicht weiter der Rede wert – wäre sie nicht ein weiterer Schritt zur Abschaffung der kleinen Cent-Münzen und damit eines integralen Bestandteiles des täglichen Bargeldverkehrs. Immer mehr Länder sparen sich die Produktion der kleinen Cent-Münzen, darunter die Niederlande und Italien, Irland, Finnland sowie Belgien. Gehören die kleinen Münzen zu 1 und 2 Cent also schon bald der Vergangenheit an?
Cent-Münzen abschaffen für den Umweltschutz?
Natürlich gibt es – wie für die Bargeldobergrenze im Großen – auch für die Abschaffung der Cent-Münzen im Kleinen eine politisch korrekte Begründung, gegen die niemand etwas haben kann. Während die Bargeldobergrenze vor allem Kriminalität bekämpfen soll, ist das bevorstehende Ende der Ein- und Zwei-Cent-Münzen ein Beitrag zum Umweltschutz: „Sie sind in der Herstellung und Handhabung teuer und belasten die Umwelt stark“, erklärt die „Eesti Pank“. Und weiter: „Mit ihnen kann man nicht viel kaufen, und deshalb werden sie kaum zum Bezahlen verwendet. Die kleinen Münzen bleiben daher ungenutzt und kommen nicht wieder in Umlauf.“ Und am Ende folgt der wichtigste Satz: Die Einführung der Rundungsregel würde bedeuten, dass keine neuen Ein- und Zwei-Cent-Münzen mehr hergestellt werden müssten.
Auch wenn die estnische Zentralbank die Entscheidung plausibel machen will: Die Abschaffung der kleinen Cent-Münzen dürfte durchaus große Auswirkungen haben, beispielsweise einen Anstieg der Inflation. Denn durch das Aufrunden verteuert sich der Einkauf an der Supermarktkasse. Zwar weist „Eesti Pank“ darauf hin, dass die Preise je nach Endbetrag auf den nächsten Fünf-Cent-Betrag auf- oder abgerundet werden. Doch unterm Strich gehen Ökonomen davon aus, dass die neuen Rundungsregeln zu einer zusätzlichen Belastung für Verbraucher führen – frei nach dem deutschen Sprichwort „Kleinvieh macht auch Mist“.
Schluss mit dem Kleingeld: Estland ist nicht allein
Die Debatte über die Abschaffung von Kleinmünzen wie dem 1-Cent-Stück oder der 2-Cent-Münze aus dem täglichen Zahlungsverkehr ist in vielen Ländern ein aktuelles Thema. Trotz der Argumente für ihre Abschaffung, wie etwa die hohen Prägekosten im Vergleich zum Nennwert oder die geringe Kaufkraft, gibt es gewichtige Gründe für den Erhalt dieser Münzen:
- Preisgenauigkeit und Verbraucherschutz: Kleinmünzen ermöglichen eine genaue Preisgestaltung. Ihre Abschaffung könnte zu einer systematischen Rundung der Preise führen, was meistens zu Ungunsten der Verbraucher ausfällt. Einzelhändler könnten dazu neigen, Preise eher auf- als abzurunden, was insbesondere bei günstigen Produkten zu einer überproportionalen Preissteigerung führen könnte.
- Psychologischer Aspekt: Die Möglichkeit, Preise genau anzugeben, statt sie zu runden, kann auch psychologische Auswirkungen auf das Kaufverhalten haben. Preise, die knapp unter einem Euro liegen (z.B. 0,99 Euro), werden oft als deutlich günstiger wahrgenommen als Preise, die auf den nächsten vollen Eurobetrag aufgerundet werden. Dieses „Just-below-Pricing“ ist eine etablierte Marketingstrategie, die durch die Abschaffung von Kleinmünzen beeinträchtigt würde.
- Wohltätigkeit und Spenden: Kleinmünzen spielen eine wichtige Rolle bei Spendenaktionen. Viele Menschen neigen dazu, Kleinmünzen zu spenden, sei es in Spendendosen an Kassen oder durch andere wohltätige Initiativen. Die Abschaffung dieser Münzen könnte zu einem Rückgang kleiner, aber in der Summe bedeutender Spendenbeiträge führen.
- Bargeldliebende Bevölkerungsgruppen: Bestimmte Bevölkerungsgruppen, darunter ältere Menschen, Kinder oder Personen ohne Bankkonto, verlassen sich stärker auf Bargeld als auf digitale Zahlungsmethoden. Kleinmünzen helfen diesen Gruppen, genaue Transaktionen durchzuführen und ihre Finanzen besser zu verwalten.
- Kultureller und historischer Wert: Münzen sind nicht nur Zahlungsmittel, sondern auch Kulturgüter, die historische und nationale Symbole tragen. Sie tragen zur nationalen Identität bei und dienen als Erinnerungsstücke oder Sammelobjekte.
- Wirtschaftliche Stabilität in Krisenzeiten: In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit oder bei Ausfällen elektronischer Zahlungssysteme bietet Bargeld, einschließlich Kleinmünzen, eine stabile und zuverlässige Zahlungsmethode. Die Verfügbarkeit aller Nennwerte sichert dabei eine reibungslose Transaktionsfähigkeit.
Die kleinen Cent-Münzen mögen für manche Zeitgenossen durchaus lästig sein. Und sie wirken auf den ersten Blick wie ein entfernter Nebenaspekt einer breit angelegten Bargeld-Abschaffung. Doch die finanzielle Freiheit fängt im Kleinen an – und gerade die Kleinmünzen bieten trotz ihrer geringen Kaufkraft und den mit ihnen verbundenen Kosten eine Reihe von Vorteilen, die von praktischen über psychologische bis hin zu sozialen und kulturellen Aspekten reichen. Ihre Abschaffung würde also nicht zu vernachlässigende Nebeneffekte haben, die weit über das Ziel der Kosteneinsparung hinausgehen. Und höchstwahrscheinlich sind die kleinen Münzen zu 1 und 2 Cent erst der Anfang.